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FVA-Workbench KnowledgeBase

Schraubenverbindungen

Bei der VDI 2230 handelt es sich um eine seit vielen Jahren international anerkannte und in der Praxis angewendete Richtline zur Berechnung von Schraubenverbindungen. Sie stellt dem Konstrukteur und Berechnungsingenieur in Form von Rechenschritten eine systematische Vorgehensweise zur Berechnung zur Verfügung, um eine funktions- und betriebssichere Auslegung bei weitgehender Ausnutzung der Schraubentragfähigkeit zu ermöglichen.

Die Vorgaben dieser Richtlinie gelten streng genommen nur für Stahlschrauben (Schraubgewinde mit 60° Flankenwinkel) in hochbeanspruchten und hochfesten Schraubenverbindungen, das heißt für Festigkeitsklassen 8.8 bis 12.9 bzw. 70 und 80 und einer kraftschlüssigen Übertragung der Betriebsbelastung, die immer über die verspannten Bauteile eingeleitet wird. Diese besteht in der Regel aus einer statischen oder dynamischen Axialkraft (das heißt Wirkungsrichtung parallel zur Schraubenachse). Zusätzlich können Biegemomente und Querkräfte auftreten. Die zugrundeliegenden Werkstoffeigenschaften gelten nur bei Raumtemperatur. Zudem werden Korrosion, oder stoßartige und stochastische Belastungen nicht berücksichtigt. Je weiter man sich bei der berechneten Schraubenverbindung vom Gültigkeitsbereich der Richtlinie entfernt, desto unsicherer werden die Ergebnisse und desto größer werden die Abweichungen sein.

Die Richtlinie schließt im Allgemeinen nicht die Notwendigkeit experimenteller oder numerischer FEM-Untersuchungen aus, um die Ergebnisse der Berechnungen zu verifizieren. Insbesondere bei kritischen Verbindungen wird dies empfohlen.

Rechenschritte

In den Rechenschritten werden systematisch alle notwendigen Faktoren analysiert, um ein Versagen der Schraubenverbindung auszuschließen. Eine Grundvoraussetzung für die Berechnung ist die Kenntnis über die Betriebskraft FB, die auf die Schraubenverbindung wirkt. Diese teilt sich auf in eine axiale Betriebskraft FA, eine Querkraft FQ, ein Drehmoment MT und ggf. ein Biegemoment MB, welche im folgenden als bekannt vorausgesetzt werden.

Ausgehend von der vorliegenden Belastung (Axialkraft, Querkraft), der Belastungsart (statisch, dynamisch), der Verspannungsart (zentrisch, exzentrisch) und der Genauigkeit des verwendeten Anziehverfahrens lassen sich anhand der Tabelle A7 empfohlene Nennschraubendurchmesser d für die Festigkeitsklassen 12.9, 10.9 und 8.8 ermitteln.

Der Anziehfaktor αA berücksichtigt die Streuung der erzielbaren Montagevorspannkraft zwischen FMmin und und FMmax und kann mit Tabelle A8 bestimmt werden.

Gleichung 221.
αA=FMmaxFMmin\alpha_A=\frac{F_{M\max}}{F_{M\min}}


Die Ermittlung der erforderlichen Mindestklemmkraft FKerf erfolgt unter Berücksichtigung des notwendigen Reibschlusses zur Übertragung einer Querkraft FKQ, der Abdichtung gegen ein Medium FKP und der Verhinderung eines Aufklaffens FKA der Verbindung.

Gleichung 222.
KKerfmax(FKQ;FKP+FKA)K_{Kerf}\ge\max(F_{KQ};F_{KP}+F_{KA})


Der Kern der Schraubenberechnung stellt die Berechnung der elastischen Nachgiebigkeiten der Verbindungselemente dar, Schraube δS und verspannte Teile δP. Zudem ist eine Abschätzung des Krafteinleitungsfaktors n notwendig.

Daraus lässt sich das Kraftverhältnis φ berechnen, das sich für den allgemeinen Fall berechnet aus:

Gleichung 223.
ϕen*=nδP**+δPZuδS+δP*\phi_{en}^*=n\cdot\frac{\delta_P^{**}+\delta_{PZu}}{\delta_S+\delta_P^*}


Mit Hilfe des Kraftverhältnis φ lässt sich die Schraubenzusatzkraft FSA und Zusatzkraft der verspannten Teile FPA berechnen:

Gleichung 224.
FSA=ϕFAF_{SA}=\phi\cdot F_A


Gleichung 225.
FPA=(1-ϕ)FAF_{PA}=(1-\phi)\cdot F_A


Nach dem Anziehen und kurzem Betrieb kommt es zu einem Setzen in allen Verbindungsflächen. Für den Vorspannkraftverlust FZ einer Schraubverbindung in Folge von Setzen gilt:

Gleichung 226.
FZ=fZ(δS+δP)F_Z=\frac{f_Z}{(\delta_S+\delta_P)}


Wobei Richtwerte für die Setzbeträge fZ sich zusammen mit der vorliegenden Rautiefe Rz aus Tabelle 5 bestimmen lassen. Bei thermisch beanspruchten Schraubenverbindungen kann es infolge unterschiedlicher Wärmedehnungskoeffizienten und Erwärmungen von Schraube und verspannten Teilen zu Vorspannkraftänderungen ΔF'Vth kommen. In dieser ersten umgesetzten Version der Schraubenberechnung wird der Temperatureinfluss zunächst vernachlässigt.

Die erforderliche Mindestmontagevorspannkraft FMmin kann ermittelt werden, indem man die Vorspannkraftänderungen berücksichtigt und dabei annimmt, dass die Verbindung maximal entlastet wird.

Gleichung 227.
FMmin=FKerf+(1-ϕen*)FAmax+FZ+ΔFVthF_{M\min}=F_{Kerf}+(1-\phi_{en}^*)\cdot F_{A\max}+F_Z+\Delta F_{Vth}'


Abhängig vom Anziehverfahren berechnet sich die mögliche Maximalmontagevorspannkraft zu:

Gleichung 228.
FMmax=αAFMminF_{M\max}=\alpha_A\cdot F_{M\min}


Das Ziel besteht darin, die Festigkeit der Schraube weitestgehend auszunutzen. Falls für die Vergleichsspannung im Montagezustand σred,M nur eine teilweise Ausnutzung der genormten Mindeststreckgrenze Rp 0,2 min (in der Regel 90 %) zugelassen ist, gilt mit dem Ausnutzungsgrad ν:

Gleichung 229.
σred,Mzul=νRp0.2min\sigma_{red,Mzul}=\nu\cdot R_{p0.2\min}


Die für die gewählte Schraube zulässige Montagevorspannkraft berechnet sich zu:

Gleichung 230.
FMzul=A0νRp0.2min1+3[32d2d0(Pπd2+1.155μGmin)]2F_{Mzul}=A_0\cdot\frac{\nu\cdot R_{p0.2\min}}{\sqrt{1+3[\frac{3}{2}\frac{d_2}{d_0}(\frac{P}{\pi\cdot d_2}+1.155\mu_{G\min})]^2}}


Es muss geprüft werden, ob die in R0 überschläglich ermittelte Schraubengröße weiterverwendet werden kann:

Gleichung 231.
FMzulFMmaxF_{Mzul}\ge F_{M\max}


Wenn das nicht zutrifft, muss ein größerer Schraubendurchmesser gewählt werden, eine höhere Festigkeitsklasse, ein anderes Anziehverfahren, eine Verringerung der Reibung oder der äußeren Belastung.

Im Detail unterscheidet sich hier die Berechnung, wenn streckgrenzeüberschreitend, plastisch angezogen wird zu dem meist üblichen elastischen Anziehen, was im Folgenden dargestellt ist. Für den Betriebszustand errechnet sich die Gesamtschraubenkraft FSmax zu:

Gleichung 232.
FSmax=FMzul+ϕen*FAmax-ΔFVthF_{S\max}=F_{Mzul}+\phi_{en}^*\cdot F_{A\max}-\Delta F_{Vth}'


Die maximale Zugspannung ergibt sich aus:

Gleichung 233.
σzmax=FSmax/A0\sigma_{z\max}=F_{S\max}/A_0


Und die maximale Torsionsspannung zu:

Gleichung 234.
τmax=MG/WP\tau_{\max}=M_G/W_P


mit

Gleichung 235.
MG=FMzuld22(Pπd2+1.155μGmin)M_G=F_{Mzul}\frac{d_2}{2}(\frac{P}{\pi\cdot d_2}+1.155\mu_{G\min})


und mit

Gleichung 236.
WP=π16d03W_P=\frac{\pi}{16}d_0^3


Für die reduzierte bzw. Vergleichsspannung mit einer auf kτ verringerten Torsionsbeanspruchung im Betrieb (Empfehlung: kτ = 0,5) gilt:

Gleichung 237.
σred,B=σzmax2+3(kττmax)2\sigma_{red,B}=\sqrt{\sigma_{z\max}^2+3(k_{\tau}\cdot\tau_{\max})^2}


Es muss gelten:

Gleichung 238.
σred,B<Rp0.2min\sigma_{red,B}<R_{p0,2\min}


Gleichung 239.
SF=Rp0.2min/σred,B1.0S_F=R_{p0.2\min}/\sigma_{red,B}\ge1.0


Für die Überprüfung der Schwingfestigkeit muss die Spannungsamplitude ermittelt werden mit der auftretenden Spannung bei maximaler und minimaler Axialkraft zentrisch:

Gleichung 240.
σa=FSAo-FSAu2AS\sigma_a=\frac{F_{SAo}-F_{SAu}}{2A_S}


exzentrisch:

Gleichung 241.
σab=σSAbo-σSAbu2\sigma_{ab}=\frac{\sigma_{SAbo}-\sigma_{SAbu}}{2}


Zudem muss die ertragbare Spannung berechnet werden.

Für schlussvergütete (SV) Schrauben:

Gleichung 242.
σASV=0.85(150/d+45)\sigma_{ASV}=0.85(150/d+45)


für schlussgewalzte (SG) Schrauben:

Gleichung 243.
σASG=(2-FSm/F0.2min)σASV\sigma_{ASG}=(2-F_{Sm}/F_{0.2\min})\cdot\sigma_{ASV}


Es muss gelten:

Gleichung 244.
σa/abσAS\sigma_{a/ab}\le\sigma_{AS}


Gleichung 245.
SD=σAS/σa/ab1.0S_D=\sigma_{AS}/\sigma_{a/ab}\ge1.0


In der Kontaktfläche zwischen Schraubenkopf und Mutter einerseits und dem verspannten Teil andererseits sollten weder durch die Montagevorspannkraft noch durch die maximal auftretende Betriebskraft Flächenpressungen entstehen, die zu Kriechvorgängen (zeitabhängiges plastisches Fließen) und einem Verlust an Vorspannkraft führen. Die berechnete Flächenpressung sollte daher die Grenzflächenpressung des verspannten Werkstoffs nicht überschreiten.

Montagezustand:

Gleichung 246.
pMmax=FMzul/ApminpGp_{M\max}=F_{Mzul}/A_{p\min}\le p_G


Betriebszustand:

Gleichung 247.
pBmax=(FVmax+FSAmax-ΔFVth)/ApminpGp_{B\max}=(F_{V\max}+F_{SA\max}-\Delta F_{Vth})/A_{p\min}\le p_G


Es muss gelten:

Gleichung 248.
SP=pG/pM/Bmax1.0S_P=p_G/p_{M/B\max}\ge1.0


Um ein Versagen der Schraubenverbindung durch das Abstreifen der ineinandergreifenden Gewinde zu vermeiden, ist es erforderlich, dass das Schraubengewinde ausreichend von dem Muttern- oder Innengewinde überdeckt wird. Daraus ergibt sich, dass die maximale Zugkraft der Schraube kleiner sein muss als die kritische Abstreifkraft des Innen- oder Bolzengewindes.

Es muss gelten:

Gleichung 249.
FmS(FmGM,FmGS)F_{mS}\le(F_{mGM},F_{mGS})


Gleichung 250.
Smeff=meff,vorh/meff,minS_{meff}=m_{eff,vorh}/m_{eff,\min}


Querkräfte, die in einer Schraubenverbindung auftreten, müssen durch Reibschluss übertragen werden. Es ist wichtig, ein Versagen der Verbindung durch Abscheren oder Überschreiten der zulässigen Lochleibung auszuschließen.

Vorliegende minimale Restklemmkraft:

Gleichung 251.
FKRmin=FMzulαA-(1-ϕen*)FAmax-fZ-ΔFVthF_{KR\min}=\frac{F_{Mzul}}{\alpha_A}-(1-\phi_{en}^*)F_{A\max}-f_Z-\Delta F_{Vth}


Erforderliche Klemmkraft:

Gleichung 252.
FKQerf=FQmaxqFμTmin+MYmaxpMraμTminF_{KQerf}=\frac{F_{Q\max}}{q_F\cdot\mu_{T\min}}+\frac{M_{Y\max}}{p_M\cdot r_a\cdot\mu_{T\min}}


Es muss gelten:

Gleichung 253.
FKRmin>FKQerfF_{KR\min}>F_{KQerf}


Gleichung 254.
SG=FKRminFKQerf>1.0S_G=\frac{F_{KR\min}}{F_{KQerf}}>1.0


Gleichung 255.
τQmax=FQmax/Aτ\tau_{Q\max}=F_{Q\max}/A_{\tau}


Es muss gelten:

Gleichung 256.
τQmax<τB\tau_{Q\max}<\tau_B


oder

Gleichung 257.
FQmax<tauBAτ=AτRm(τB/Rm)F_{Q\max}<tau_B\cdot A_{\tau}=A_{\tau}\cdot R_m\cdot(\tau_B/R_m)


Gleichung 258.
SA=τBτQmax=τBAτFQmax1.1S_A=\frac{\tau_B}{\tau_{Q\max}}=\frac{\tau_B\cdot A_{\tau}}{F_{Q\max}}\ge1.1


Das Anziehdrehmoment kann auch wie folgt berechnet werden:

Gleichung 259.
MA=FMzul[0.16P+0.58d2μGmin+DKm2μKmin]M_A=F_{Mzul}[0.16\cdot P+0.58\cdot d_2\cdot\mu_{G\min}+\frac{D_{Km}}{2}\mu_{K\min}]


Bei torsionsfreiem Anziehen entfällt diese Berechnung natürlich.

Beispiele

In den Beispielmodellen der FVA-Workbench unter Minimalmodelle sind die folgenden Beispiele enthalten:

Hinweise und Ausblick

Bei der aktuellen Version handelt es sich um die erste Umsetzung, die zukünftig kontinuierlich nach Bedarf erweitert wird. Mögliche nächste Erweiterungen sind:

  • Unterschiedliche E-Module bei den verspannten Teilen

  • Thermische Vorspannkraftänderungen

  • Unterlegscheiben

  • Schwingfestigkeit im Bereich der Zeitfestigkeit

Auf Anfrage können Schrauben- und Mutternormen hinzugefügt werden. Zudem ist eine Erweiterung um optionale Eingaben und Ausgaben jederzeit möglich.

Quellen

Schraubenberechnungsnormen

  • VDI 2230:2015 Teil1, „Systematische Berechnung hochbeanspruchter Schraubenverbindungen Zylindrische Einschraubenverbindungen“, VDI Verlag Düsseldorf

  • VDI 2230:2014 Teil2, „Systematische Berechnung hochbeanspruchter Schraubenverbindungen Mehrschraubenverbindungen“, VDI Verlag Düsseldorf

Bohrungsnorm

  • DIN EN 20273:1992, „Mechanische Verbindungselemente; Durchgangslöcher für Schrauben“

Werkstoffeigenschaften

  • DIN EN ISO 898-1:2013, „Mechanische Eigenschaften von Verbindungselementen aus Kohlenstoffstahl und legiertem Stahl - Teil 1: Schrauben mit festgelegten Festigkeitsklassen - Regelgewinde und Feingewinde“

Gewindenormen

  • DIN 13:1999 Teil1 bis 9, „Metrisches ISO-Gewinde allgemeiner Anwendung“, DIN Deutsches Institut für Normung e. V., Berlin

Schraubennormen

  • DIN EN ISO 4014:2011, „Sechskantschrauben mit Schaft - Produktklassen A und B“

  • DIN EN ISO 4017:2015, „Mechanische Verbindungselemente - Sechskantschrauben mit Gewinde bis Kopf - Produktklassen A und B“

  • DIN EN ISO 4762:2004, „Zylinderschrauben mit Innensechskant“

  • DIN EN ISO 8676:2011, „Sechskantschrauben mit Gewinde bis Kopf und metrischem Feingewinde - Produktklassen A und B“

  • DIN EN ISO 8765:2011, „Sechskantschrauben mit Schaft und metrischem Feingewinde - Produktklassen A und B“

  • DIN EN ISO 12474:2011, „Zylinderschrauben mit Innensechskant mit Metrischem Feingewinde“

Mutternormen

  • DIN EN ISO 4032:2022, „Mechanische Verbindungselemente - Sechskantmuttern (Typ 1)“

  • DIN EN ISO 4033:2022, „Mechanische Verbindungselemente - Hohe Sechskantmuttern (Typ 2)“

  • DIN EN ISO 4035:2022, „Mechanische Verbindungselemente - Niedrige Sechskantmuttern (Typ 0)“

  • DIN EN ISO 8673:2022, „Mechanische Verbindungselemente - Sechskantmuttern (Typ 1), mit Feingewinde“

  • DIN EN ISO 8674:2022, „Mechanische Verbindungselemente - Hohe Sechskantmuttern (Typ 2), mit Feingewinde“

  • DIN EN ISO 8675:2022, „Mechanische Verbindungselemente - Niedrige Sechskantmuttern (Typ 0), mit metrischem Feingewinde“